Dharma versus dharma

Eines der schwierigeren Worte, denen man im Studium des Buddhismus begegnet, ist Dharma mit großem „D“ und dharma mit kleinem „d“.

Wenn dharma mit kleinem „d“ geschrieben ist, bezieht es sich auf alles, worauf unsere Sinne stoßen – Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken oder der Geist, der etwas imaginiert. Obwohl Buddhas Dasein als Einssein erfahren, neigen wir gewöhnliche Menschen dazu, Dasein als eine riesige Ansammlung von allen möglichen Dingen zu sehen – Tische, Stühle, Bleistifte, Musik, Schall von außen oder aus den eigenen vier Wänden, Gerüche, die Suche nach Worten in unserem Kopf usw. Um was für ein Ding auch immer es geht, so handelt es sich um ein dharma – im Japanischen . In zahlreichen seiner Thesen gebraucht der Daishônin das Wort (dharma) in diesem Sinne. Für die, die die Buddha-Lehre studieren, ist das Wort dharma äußerst zweckdienlich, weil die Termini „Phänomen“ und „Noumenon“ dessen Bedeutung nicht herüberbringen. In der mündlichen Überlieferung über die Bedeutung des Sutra der Dharmablume (Ongi kuden) heißt es im ersten Abschnitt über Nam-myôhô-renge-kyô: „Myô ist das Wesen des Dharma [d.i. der dreifache von jeglichem Karma unabhängige Körper]; dharmas sind Nichterleuchtung, während beide zusammen, d.h. Nichterleuchtung und das Wesen des Dharma als einzelne Entität, die Allheit des Dharma (Myôhô) ausmachen.“ In seiner These über den wahren Aspekt aller dharmas sagt der Daishônin: „Die Antwort wird gegeben in Gestalt der tatsächlichen Quintessenz (tôtai) der Subjektivitäten mit ihren abhängigen Umgebungen der zehn Lebenszustände (jikkai, zehn Welten) von der Hölle am unteren bis zum Zustand der Buddhaschaft am oberen Ende, die alle kein einziges dharma () auslassen. Es ist das, was der Text des Sutra über die Lotosblume der Allheit des Dharma (Myôhô-renge-kyô) zu seinem Gegenstand hat.“ Bei einem jedem dharma, was auch immer es sei, haben wir es mit einem ganz eigenem, einzelnen Augenblick des Gedankens zu tun, welcher dreitausend existentielle Räume (ichinen sanzen) einschließt, so daß jegliche Anspielung auf Dasein mit der Gesamtheit des Daseins einhergehen muß.

Es gab eine Zeit, da ich erwog, das Wort dharma mit Dasein zu übersetzen, doch mit seinem Einzug in zahlreiche Europäische Sprachen ist es für die Anhänger der Lehre Nichiren Daishônins von Bedeutung geworden, das Wort dharma in einem buddhistischen Sinn ohne brahmanischen Beigeschmack zu verstehen.

In Edward Soothills und Lewis Hodous' Dictionary of Chinese Buddhist Terms ist das chinesische Ideogram bzw. seine japanische Lesart oder nori definiert als Dharma, Gesetz, Wahrheit, Religion, Ding, alles Buddhistische. Dharma ist „das, woran man festhält oder was man beibehält, Ordonnanz, Statut, Gesetz, Gebrauch, Praxis, Brauch, Vepflichtung, Gebührlichkeit, Moral, Beschaffenheit.“ Monier Williams' Sans­krit English Dictionary führt es in der Beutung von alle Dinge bzw. von allem, was klein oder groß ist, sichtbar oder unsichtbar, real oder irreal, Angelegenheiten, Wahrheit, Prinzip, Methode, konkrete Dinge, abstrakte Ideen etc. Dharma ist als das beschrieben, was eine Entität hat und seine eigenen Attribute hervorbringt. Seine Konnotation ist die des Buddhismus als der vollkommenen Religion; auch hat es einen weiteren Stellenwert im Kontext von Triratna-Buddha, Dharma, Sangha...etc.

Hinsichtlich des Wortes Dharma als Einssein ist das evidente Zitat Myôhô-renge-kyô, wobei es sich um das Sutra über die Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung durch die Gesamtheit des Daseins hindurch handelt. Obwohl ich Myôhô als „Allheit des Dharma“  [„Utterness of the Dharma“] übersetzt habe, bleibt die intendierte Bedeutung dieselbe. Dharma als eine Lehre schließt die Gesamtheit des Daseins ein, ohne etwas auszulassen, und stellt ebenso die Lösung all unserer Probleme dar. Dharma mit großem „D“ bezieht sich auf die Sicht des Buddhas vom Leben als Singularität.

Was also bedeutet diese Ganzheit im Rahmen greifbarer Erfahrung? Der englische Maler John Constable (1776-1837) sagte etwas in der Art, daß „man die Herrlichkeit der Schöpfung unter jeden englischen Hecke findet.“ In den Schriften vieler reifer Künstler finden wir immer wieder einen Bezug, daß alles visuell Erfahrene ästhetische Gültigkeit besitzt. Diese Art von Erfahrung wird oft als ein „Gefühl der Erstaunens“ beschrieben. Das heißt, wie feinfühlig Menschen auch immer sind und darob leiden, ihnen durch nichts das Wunder der Zweige im Winter genommen werden kann, die zerbröckelnde Mauer oder der Unrat in der Abflussrinne. Diese Form von Anmutung läßt wiederum Haiku als spirituell bedeutsam erscheinen. Musiker und Komponisten nehmen alles Gehörte als Musik war, sei es das Schlurfen der Pantoffeln auf dem Holzboden, das fließende Wasser oder das Kreischen der Elektrosäge. Selbstredend vermögen Poeten und Schriftsteller sogar einzelne Wörter als Poesie zu erfahren. Ist es das, wie der Buddha das Universum sieht mit seinem grundlegenden Mitgefühl als auch der Weisheit, die Bereiche fühlenden Daseins im Sinne des einen Augenblicks zu erfahren, der dreitausend existentielle Räume einschließt?

Schlußendlich besitzt der Buddha die Weisheit, ein jedes Problem, das die Menscheit bedrängt, zu lösen. Dies ist das Einssein des Buddha-Reiches.

Martin Bradley im Februar 2008

 

 

Note aus Vancouver

Martin Bradley hat sich wieder der Übersetzung der Schriften Nichiren Daishônins zugewandt. Um dies in effektiver Weise tun zu können, läßt er hierzu sein Engagement als Maler ruhen. Bei der Sô Kan Mon Shô handelt es sich um die prägnanteste verfügbare Erläuterung von Dasein, weshalb es diese Schrift verdient, daß man sie durch eine frische Übersetzung leichter zugänglich macht. Das Projekt startete im Dezember 2007 und schwappte im Gefolge über den Atlantik hierher, wo die handgeschriebenen Faxe in Web-taugliche Formate konvertiert werden.

Auch das Glossar hat im Verlauf des vergangenen Jahres einige Aktualisierungen und Ergänzungen erfahren. In einem erläuternden, bislang noch nicht kategorisierten Textdokument erörtert Martin Dharma versus dharma – eine bedeutsame Unterscheidung, die Eure Aufmerksamkeit verdient.

Die hiesige Site www.hokkeko.ca ist in Kanada angesiedelt; sie wird von einer anderen Site in Deutschland, www.hokkeko.de, gespiegelt, auf der man auch einige deutsche Übersetzungen findet.

Ich bin gefragt worden, was ich von einer Ergänzung durch Materialen der Kômon-Schule halte. Offen gesprochen bin ich noch nicht an dem Punkt, mich darauf einzulassen.

Die Site wurde im Januar 2002 eingerichtet und vor vielleicht drei Jahren, oder wann auch immer ich die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Martins Buch erhielt, einer Generalüberholung unterzogen. Seitdem haben wir zusammengearbeitet, um die vorliegenden bedeutsamen Materialien der Welt zu präsentieren und Menschen zu Nam-myôhô-renge-kyô hinzuführen.

Gerhard
Webmaster